Eine Nische zum Erfolgsmodell machen – dieser Traum treibt so manchen kreativen Kopf in der Startup-Szene an. Immerhin gibt es zahlreiche Gründungsgeschichten, die aus der Nische eine Tugend gemacht haben. Da wäre etwa der Onlineshop KoRo, der mit hochwertigen Produkten in Großpackungen auf einen Umsatz von 100 Millionen Euro wuchs. Oder das Münchner Unternehmen Champagne Characters, dessen Gründerin ihre Leidenschaft für Winzerchampagner zum Geschäftsmodell machte. The list goes on and on. Doch wie die vergangenen Monate gezeigt haben, ist nicht für jede Nische Platz auf der Liste der Erfolgsmodelle. Denn gerade in Food & Delivery ist die Nische für einige Startups nicht zur Tugend geworden, sondern zur Falle.
Der Mut zur Nische
Dabei standen die Zeichen in der Food & Delivery Branche lange hervorragend. Die Entdeckung und Nutzung zahlreicher Nischen fügte sich also organisch in die E-Food-Branche ein. Mit schier endloser Kreativität wurde Lieferdienst um Lieferdienst gegründet: Frischepost wollte den Hofläden eine digitale Plattform in urbanen Räumen geben, alpakas die Unverpackt-Welle vor die Haustür bringen und Yababa orientalische Lebensmittel zum Delivery-Hit machen. Drei Lieferdienste mit drei kreativen Geschäftsmodellen und Sortimenten, die aus einer Nische eine Erfolgsgeschichte hätten machen können. Der Konjunktiv ist hier ganz bewusst gewählt, denn keinem der drei Unternehmen ist dies gelungen.
Der 2015 gegründete Online-Hofladen Frischepost hatte im Franchisesystem, auch mithilfe einiger Finanzierungsrunden, neben Hamburg auch das Rhein-Main-Gebiet, Berlin und München erschlossen. Die Gründerinnen Eva Neugebauer und Juliane Willing entschieden sich im Frühjahr 2022 für den Exit, um dem Berliner Investor Footprint.Club als Wachstumspartner Platz zu machen. So weit der Plan. Nicht planmäßig verlief dann aber der spontane Rückzug des Investors. Dem Unternehmen blieb nur der Weg in ein Insolvenzverfahren, das operative Geschäft wurde in allen Gebieten eingestellt.
Vor einem ähnlichen Problem steht auch der Berliner Zero Waste Lieferservice alpakas. Das 2021 gegründete Startup stieg als Delivery-Variante des Unverpackt-Trends im E-Food-Markt ein, Pfandsystem und Same Day Lieferung inklusive. Für ihre Vision eines nachhaltigen Online-Lieferservices fanden die drei Gründer Tomy Eitner, Simon Chorzelski und Antony Roczek immer wieder Investoren. Zuletzt konnte 2022 Vorwerk Ventures für das Zero Waste Modell gewonnen werden. Das Liefergebiet wurde im selben Jahr von Berlin auf München ausgeweitet. Gute Aussichten also für das junge Unternehmen. Eigentlich. Denn im März 2023 wurde bekannt, dass das Startup nach einer gescheiterten Finanzierungsrunde einen Insolvenzantrag gestellt hatte. Der Geschäftsbetrieb läuft zwar weiter, doch ohne neue Investoren steht der Lieferservice vor dem Aus.
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Die Nische und das Risiko
Auch in der noch jungen Ethno-Nische der Food & Delivery Branche bricht bereits so manches Gerüst ein. Anbieter wie GetHalal, yolla, Yababa oder GoTiger wollten und wollen internationale Lebensmittel in der E-Food-Branche etablieren. Doch einige dieser Startups haben sich in ihrer Nische verhakt. GetHalal stellte schon im Sommer 2022 einen Insolvenzantrag, Yababa folgte Anfang 2023. Und auch bei Yababa liegt der Hase scheinbar im Pfeffer einer gescheiterten Investorensuche.
Dabei war eine erste Finanzierungsrunde 2021, dem Jahr der Unternehmensgründung, erfolgreich verlaufen und brachte dem Berliner Ethno-Lieferservice eine achtstellige Investitionssumme ein. Innerhalb kürzester Zeit wurden 40 Städte zum Liefergebiet. Nun sollte zu Beginn des Jahres 2023 eine weitere Finanzierungsrunde den Weg des Startups in Richtung Profitabilität ermöglichen. Alles schien in trockenen Tüchern, wie auch eine Marketing-Offensive vermuten ließ. Bis das Investment unerwartet und in letzter Minute platzte. CEO und Mitgründer Ralph Hage stellte daraufhin einen Insolvenzantrag. Aktuell wird der Betrieb zwar weiter aufrechterhalten, aber ohne einen beherzten Käufer droht auch Yababa das Ende.
Von der Nische zur Hürde
Es lässt sich ein Muster erkennen. Zwar mögen die Gründe von Startup zu Startup variieren, doch bei der Ursache darf von hoher Deckungsgleichheit ausgegangen werden. Zu dieser Ursache zählt auch, aber nicht ausschließlich die Nutzung einer Nische. Zwar sind Nischenmodelle immer eine Wette, doch die richtige Nische zur richtigen Zeit kann der Topf am Ende des Regenbogens sein.
Leider ist Zeit auch ein Stichwort, an dem inzwischen einige Träume zerschellt sind. Denn seit Februar 2022 ist alles irgendwie schwierig, ganz besonders in der Startup-Szene. Der Krieg in der Ukraine, die daraus folgende Inflation, gestiegene Energiepreise und viele weitere Faktoren haben der Wirtschaft zugesetzt. Ein risiko- oder sogar verlustreiches Investment will unter den aktuellen Umständen besonders gut überlegt sein. So viel Kreativität und Esprit eine Branche durch die Nutzung von Nischen auch gewinnt, so viel Wettbereitschaft muss mitunter für die Investition in Nischen-Startups mitgebracht werden. Und die Wettbereitschaft wartet offenbar auf bessere und mindestens sicherere Zeiten.
*Aus Gründen der Lesbarkeit verzichten wir auf eine genderneutrale Schreibweise und Sprache. Wir möchten jedoch ausdrücklich darauf hinweisen, dass sich sämtliche verwendete Personenbezeichnungen – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Gender beziehen.
Von Katrin Grieser